Kinderrechte ins GG?

Kinderrechte ins GG?

Aus: Tagesschau.de

Kinderrechte kommen ins Grundgesetz

 

   

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legal 1st Kommentar:

Kinderrechte ins Grundgesetz – Warum?

Die nun abgestimmte Formulierung zwischen SPD und CDU lautet für Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz (neuer Text kursiv):

„Pflege und Erziehung der Kinder sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft. Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.

Aber bringt diese Formulierung mehr Rechte für Kinder, oder ist sie nur wieder ein Schein-Aktivität zugunsten von Kindern ohne echtes Ergebnis?

Um dies einzuordnen, hilft ein erster Blick auf Artikel 6 des Grundgesetzes, an den diese Formulierung angefügt werden soll:

(1) Ehe und Familie stehen unter dem besonderen Schutze der staatlichen Ordnung.

(2) Pflege und Erziehung der Kinder Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen sind das natürliche Recht der Eltern und die zuvörderst ihnen obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.

(3) Gegen den Willen der Erziehungsberechtigten dürfen Kinder nur auf Grund eines Gesetzes von der Familie getrennt werden, wenn die Erziehungsberechtigten versagen oder wenn die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen.

(4) Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft.

(5) Den unehelichen Kindern sind durch die Gesetzgebung die gleichen Bedingungen für ihre leibliche und seelische Entwicklung und ihre Stellung in der Gesellschaft zu schaffen wie den ehelichen Kindern.

  • Damit ist Art. 6 GG ein Freiheitsrecht und Abwehrrecht gegen den Staat.
  • Ehe und Familie werden durch eine Institutsgarantie durch objektive Schutzpflichten des Staates abgesichert.
  • Der Staat ist auf eine Wächterfunktion beschränkt, alles andere wären Eingriffe in Freiheitsrechte.

Wenn dann Art. 6 GG mit dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht aus Art. 2 Abs.1. in Verbindung mit Art. 1 Abs.1 GG kombiniert wird, dann fügt dieses Rahmenrecht folgenden Schutzelemente für Menschen, und damit für Kinder ausdrücklich hinzu:

  • Das Recht auf informationelle Selbstbestimmung in Bezug auf Intimsphäre, Privatsphäre, Individualsphäre und Sozialsphäre.
  • Den Schutz der persönlichen Ehre.
  • Das Recht am eigenen Bild, am eigenen Wort, am eigenen Namen.
  • Das Recht auf sexuelle Bestimmung.
  • Das Recht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme.

Und natürlich gilt Art. 1 GG zur Unantastbarkeit der Würde des Menschen immer zwingend, neben der Allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 GG und allen anderen Freiheits- und Gleichheitsrechten.

Wenn Kinder im Sinne des Gleichheitsgrundsatzes aus Art. 3 GG wie alle anderen Menschen gleich zu behandeln sind, worin liegt dann der Mehrwert der geplanten Grundgesetzänderung?

Das Grundgesetz ist eine dynamische Verfassung, weil sie im Wesentlichen abstrakt-objektive Kriterien und Formulierungen enthält und Veränderungen in einer Gesellschaft grundsätzlich begleitet. Die geplanten Änderungen verlangt das Grundgesetz – inhaltlich durch Rechtsprechung konkretisiert – bereits heute von Eltern, Staat und Gesellschaft. Es entsteht kein Mehrwert, weil die Persönlichkeit und Würde jedes Kindes bereits jetzt unbedingt geschützt, gefördert und bewahrt werden muss.

Der politische Wille, entgegen der verfassungsrechtlichen Notwendigkeiten das Grundgesetzt ändern zu wollen, offenbart dagegen einen Umsetzungsmangel bei denen, die für die Persönlichkeitsentwicklung und die Wahrung der Würde eines Kindes als Erziehungsberechtigte oder als Wächter zuständig sind.

So kann man im Verfassungsblog und manch anderen Begründungen für die Kinderrechte im GG lesen:

„Ein immer wiederkehrendes Gegenargument ist der Hinweis, dass Kinder bereits durch ihr Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit aus Art. 2 Abs. 1 GG geschützt seien. Dass dieses Grundrecht kinderspezifisch und auch anhand der Vorgaben der UN-Kinderrechtskonvention (KRK) ausgelegt werden kann, wissen zwar einschlägig bewanderte Verfassungsrechtler. Allerdings sind vielen Gerichten und Behörden die bereits geltenden verfassungsrechtlichen Kinderrechte nur wenig bekannt und es herrscht ein deutliches Umsetzungsdefizit. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass Art. 2 Abs. 1 GG eben nicht ausdrücklich ausspricht, welche spezifischen verfassungsmäßigen Rechte Kinder in Deutschland haben, etwa dass ihr Wohl bei sämtlichen Maßnahmen, die sie betreffen, vorrangig zu berücksichtigen ist und dass Kinder in solchen Fällen beteiligt werden müssen.“

Umsetzungsdefizite von verfassungsrechtlichen Vorgaben sind kein Grund für eine Verfassungsänderung, sondern der Grund für das Abstellen von Vollzugsdefiziten, Fehlern, mangelnder einfachgesetzlicher Ausgestaltung und Haltungsproblemen in einer Gesellschaft selbst.

Wer Kinderrechte wirklich umsetzen will, der sollte einfach die Verfassung ernst nehmen und Kinder nicht zu einer „Sondergruppe“ machen. Am besten fängt man mit Art. 3 GG, dem Gleichheitsgrundsatz, an.

Danach haben Kinder die gleichen Rechte und Pflichten wie jeder andere Mensch auch, und die geplante Grundgesetzänderung würde lauten:

  • Das Recht auf Entwicklung zur eigenverantwortlichen Persönlichkeit ist bei jedem Menschen zu achten und zu schützen.
  • Das Wohl eines Menschen ist angemessen zu berücksichtigen.
  • Der verfassungsrechtliche Anspruch eines Menschen auf rechtliches Gehör ist zu wahren.
  • Die Erstverantwortung von Eltern bleibt unberührt, weil der Staat nur eine Schutzfunktion für die Familie hat.

Diese vier Punkte sind aber bereits jetzt geltendes Recht – nehmen wir sie endlich ernst – auch in Corona-Zeiten!!!

 

 

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