Machtverfall – Wie Politik die dienende Funktion ignoriert!
Eine Gegenposition zum Beitrag auf Deutschlandfunk Kultur:
Ein Boulevardstück über den Niedergang der CDU
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legal 1st Kommentar:
Machtverfall – Demokratiezerfall – Kompetenzwegfall
Das Buch Machtverfall von Robin Alexander ist lesenswert und empfehlenswert!
Thematisch sortiert beschreibt er Handlungs- und Ereignisabläufe auf der Zeitschiene, die durch das Zusammenfügen von Fakten, auf Personen und politisches Handeln ein anderes Schlaglicht werfen und Neubewertungen für den „Normal-Informierten“ zwingend erscheinen lassen.
Merkels China-Politik gehört genauso dazu, wie der letzte und einzige Emanzipationsversuch von AKK als CDU-Vorsitzende, die Verweigerung von Friedrich Merz sich durch die CDU zum Wirtschaftsminister machen zu lassen, die Rolle Horst Seehofers in der Corona-Pandemie oder die Wandlungsfähigkeit von Markus Söder und Jens Spahn.
Aber neben den gut recherchierten politischen Abläufen zeigt das Buch vorallem eines: Das Mißverständnis aller beschriebenen Personen über die auf Zeit gewährte politische Rolle, die Funktion einer Partei für Demokratie und Rechtsstaat und die dienende Verpflichtung aus staatlicher Macht.
Politisches Marketing zur Befriedigung persönlicher Ziele, Egozentrik und Eitelkeit beherrschen CDU, CSU und die Exekutive im Bund. Der Unterschied zwischen Staatsmann oder -frau und schlichtem Parteipolitiker wird bei jedem aufgegriffenen Ereignis im Buch sichtbar, am deutlichsten jedoch, wenn der Autor auf Seite 41 seines Buches über das geschmacklose Witzeerzählen von Ralph Brinkhaus mit #laschetfordert im Kanzleramt berichtet oder die Absage von Friedrich Merz, Wirtschaftsminister durch eine CDU-Beschluß werden zu wollen, auf Seite 175 seines Buches.
Robin Alexander beschreibt den Machtverfall der CDU, aber wenn man den zurückliegenden Wahlkampf betrachtet, dann ist es schwierig, allen anderen Parteien und Politiker eine grundsätzlich andere Haltung zur eigenen Person, der eigenen Karriere, zu Macht und innerparteilichen Prozessen zu unterstellen.
Demokratie und Rechtsstaat sind höchst empfindliche Gebilde, weil die tragende Säule der Meinungsfreiheit im Sinne von Art. 5 GG sie nicht zu einer unveränderbaren Tatsache macht, sondern ein hinterfragender und ständig verändernder Prozeß in ihnen selbst angelegt ist.
Demokratie und Rechtsstaat sind Teil eines dynamischen Prozesses, der durch persönliche Ziele nicht gestört werden darf, weil das persönliche Ziel die dienende Funktion von Parteien und staatlicher Gewalten für Demokratie und Rechtsstaat zugunsten eines individuellen Vorteils verdrängen würde.
Dies gilt auch für das Kapitel Merkels Angst im Buch. Angst als Mittel der Politik ist inakzeptabel, dies lehrt die Geschichte, aber auch aktuelle Beispiele aus Autokratien der Gegenwart. Trotzdem existiert ein vom BMI in Auftrag gegebenes Papier – Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bekommen – das Angstmacherei als Mittel zur Beherrschung gesellschaftlicher Stimmung vorschlägt.
Am 18.3.2020 setzt Merkel durch eine Fernsehansprache die Empfehlungen zum Angstschüren in der Bevölkerung um –bis heute mit Erfolg. Eine Passage aus dem Papier des BMI sei dazu zitiert:
„Um die gewünschte Schockwirkung zu erzielen, müssen die konkreten Auswirkungen einer Durchseuchung auf die menschliche Gesellschaft verdeutlicht werden:
Kinder werden kaum unter der Epidemie leiden: Falsch. Kinder werden sich leicht anstecken, selbst bei Ausgangsbeschränkungen, z.B. bei den Nachbarskindern. Wenn sie dann ihre Eltern anstecken, und einer davon qualvoll zu Hause stirbt und sie das Gefühl haben, Schuld daran zu sein, weil sie z.B. vergessen haben, sich nach dem Spielen die Hände zu waschen, ist es das Schrecklichste, was ein Kind je erleben kann.“
Die Nutzung von Angst ist das niedrigste Mittel, dessen sich ein Staat zu Durchsetzung eigener Vorstellungen bedienen kann.
Dieses Handeln in der Corona-Krise korrespondiert jenseits des Eindrucks über die Dominanz von Politik-Marketing, Eigennutz und Eitelkeiten mit dem fehlenden Bezug politischen Handelns zum Grundgesetz und seinem verfassungsrechtlichen Spielraum für Politiker auf Zeit.
Es ist gesetzlich möglich zu machen, was Politiker wollen, es ist nicht politisch inhaltlich zu prüfen, was verfassungsrechtlich gestattet ist – auch so könnte der Untertitel unter dem Buch Machtverfall lauten.
Der Staat und seine Institutionen haben weder einen Selbstzweck, noch sind sie Beuteobjekte von Parteien und ihren Repräsentanten. Zeitliche begrenzte Macht in Form staatlicher Gewalt kann nur im Lichte der Verfassung ausgeübt werden, deren Hüter kein Bundesverfassungsgericht sein sollte, das nach politischer Abstimmung derer besetzt wird, die es bei Anrufung kontrollieren soll.
Art. 21 GG
(1) Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Ihre Gründung ist frei. Ihre innere Ordnung muß demokratischen Grundsätzen entsprechen. Sie müssen über die Herkunft und Verwendung ihrer Mittel sowie über ihr Vermögen öffentlich Rechenschaft geben.
Art. 21 GG formuliert die dienende Funktion der Parteien – sie wirken bei der politischen Willensbildung des Volkes mit. Dies ist ihre öffentliche Aufgabe, ihre Informations- und Transformationsverpflichtung in Bezug auf staatliche Gewalten als Mittler zur individuellen und öffentlichen Meinungsbildung als Voraussetzung demokratischer Prozesse.
- 1 PartG konkretisiert und benennt diese öffentliche Aufgabe ausdrücklich:
„(1) Die Parteien sind ein verfassungsrechtlich notwendiger Bestandteil der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie erfüllen mit ihrer freien, dauernden Mitwirkung an der politischen Willensbildung des Volkes eine ihnen nach dem Grundgesetz obliegende und von ihm verbürgte öffentliche Aufgabe.
(2) Die Parteien wirken an der Bildung des politischen Willens des Volkes auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens mit, indem sie insbesondere auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung Einfluß nehmen, die politische Bildung anregen und vertiefen, die aktive Teilnahme der Bürger am politischen Leben fördern, zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranbilden, sich durch Aufstellung von Bewerbern an den Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden beteiligen, auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluß nehmen, die von ihnen erarbeiteten politischen Ziele in den Prozeß der staatlichen Willensbildung einführen und für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen sorgen.“
In der klassischen Definition der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei steht:
„Freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Art. 21 II GG ist eine Ordnung, die unter Ausschluß jeglicher Gewalt und Willkürherrschaft eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung auf der Grundlage der Selbstbestimmung des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit und der Freiheit und Gleichheit darstellt. Zu den grundlegenden Prinzipien dieser Ordnung sind mindestens zu rechnen: die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, vor allem vor dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung, die Volkssouveränität, die Gewaltenteilung, die Verantwortlichkeit der Regierung, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, die Unabhängigkeit der Gerichte, das Mehrparteienprinzip und die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung un
d Ausübung einer Opposition“, BVerfGE 2, 1 12f., Leitsatz 2.
Das Buch Machtverfall zeigt, wie weit Anspruch und Wirklichkeit im politischen Alltag in Berlin auseinanderliegen, legt man die oben zitierten Gesetze/Rechtsprechung zugrunde.
Die oben beschriebene „Empfindlichkeit“ der Demokratie verträgt jedoch ein Auseinanderfallen von Anspruch und Wirklichkeit nicht, ebenso wenig wie ein Regieren und Agieren mit Angst.
Wenn die Zeit nach Merkel ein Neustart sein soll, dann muß dies auch für Demokratie und Rechtsstaat gelten, in dem sich Politiker und Parteien wieder auf das beschränken und umsetzen, was ihnen ein Grundgesetz verpflichtend zubilligt.
Dazu gehört die echte Übernahme politischer Verantwortung mit Rücktritt für das notwendige Andere und Neue ebenso, wie die konsequente Achtung einer Verfassung, die nicht dem Staat dient, sondern ihn organisatorisch und inhaltlich in seiner dienenden Funktion beschränkt.