ARD und ZDF sterben den Dinosauriertod

ARD und ZDF sterben den Dinosauriertod

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Tagesschau.de
Sondersendung des RBB zum Rücktritt von Patricia Schlesinger als Intendantin und ARD Vorsitzende auf YouTube

 

 
 
 
 
legal 1st Kommentar
 

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist ein sterbender Dinosaurier, und der Fall Schlesinger der Meteoriteneinschlag tödlicher Staubwolke.

Viele, die in diesen Tagen Kommentare und Artikel zum Fall Schlesinger schreiben, haben in der Vergangenheit oft ihren eigenen, persönlich motivierten Beitrag zum Sterben von ARD und ZDF geleistet, oder Wirtschaftsinteressen Vorteile verschaffen wollen.

Es sind auch oft die gleichen Journalisten, die heute den Dienstwagen von Frau Schlesinger kritisieren (der wie Fahrzeuge von Landes- oder Bundes-Regierung und Fraktionen Sonderrabatte hat), die sich selbst über Journalistenrabatte gerne bedienen.

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Das Sterben der Dinosaurier hat viele Väter und Mütter, der Fall Schlesinger ist nur der tödliche Staub für eine Institution, deren Lebensadern von innen und außen seit vielen Jahren geschwächt werden, obwohl eine funktionierende Demokratie nicht auf sie verzichten kann.

Die Idee aus dem Grundgesetz und vom Bundesverfassungsgericht einst ausgestaltet:

Eine der Meinungsfreiheit dienende unabhängige Institution, die die notwendige freie individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung sicherstellt, ohne die demokratische Prozesse undenkbar sind.

Die Realität – auch wenn sehr direkt formuliert:

Eine, die Meinung beeinflussende abhängige Institution, die belehrend und erziehend durch Vermischung von Fakten und Meinung die gesellschaftliche Meinungsbildung versucht zu steuern, und damit demokratischen Prozessen nicht mehr dient.

Die Idee des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist weltweit einmalig und ein Leuchtturm für die Meinungsfreiheit. Die Umsetzung war am Anfang auch gut, bekam immer wieder verfassungsrechtliche Rückdeckung, und Politik, Medienmacher und Rundfunkkontrolleure verteidigten und lebten die Idee von einem unabhängigen Rundfunk, der ausschließlich dem Erhalt der freien Meinungsbildung dient.

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk war ein Qualitätsmaßstab, mediale Angebote waren faktenbasierte Informationen zur persönlichen und gesellschaftlichen Meinungsbildung, die gleichzeitig der Standard für private mediale Angebote setzten und der Verifikation dienten.

Als der private Rundfunk in Deutschland zugelassen wurde, war dies eigentlich eine große Chance für die öffentlich-rechtlichen Sender, als die Digitalisierung die Medienlandschaft eroberte, gab es die nächste Chance und Verpflichtung, die Idee vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk im Rahmen des öffentlichen Auftrags neu umzusetzen.

Aber diese zwei medialen Meilensteine liefen an den öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten vorbei, ohne dass Intendanten eine Neugestaltung des Systems anstrebten, Politiker ihren Einfluss auf die Anstalten reduzierten oder die Kontrollgremien eine treibende Kraft des Wandels wurden.

Die Intendanten

Die Intendanten haben das öffentlich-rechtliche System verwaltet, aber nicht entwickelt. Sie haben mediale und technische Änderungen in einen analogen Rundfunk versucht zu integrieren, ohne die digitale Wirklichkeit als neue Herausforderung für Inhalte und öffentlichen Auftrag im Sinne von Unabhängigkeit und dienender Funktion als Handlungsverpflichtung zu begreifen.

Sie haben medienpolitische Diskussionen von Privatsendern und Zeitungsverlegern bestimmen lassen, die ihren wirtschaftlichen Erfolg natürlich über einen öffentlichen Auftrag stellen durften, den die öffentlich-rechtlichen Sender in seiner Veränderung ja selbst nicht diskutierten. Sie haben versucht zu bewahren, was Vergangenheit war und zugelassen, daß sich private Presseverlage, Plattformen und Intermediäre im Internet Rundfunkprivilegien sicherten, ohne dem Rundfunkrecht oder dem Medienkonzentrationsrecht unterworfen zu werden.

Sie haben sich mit der Politik in aller Abhängigkeit versucht gut zu stellen – was immer das im Einzelnen bedeutet hat – um Gebühren und Beitragsveränderungen – in Abstimmung mit der (unabhängigen) KEF auf den Weg zu bringen. Kompromisse und Angebote an die Politik bestimmten die Tagesordnung, nicht die Verteidigung der Rundfunkfreiheit gegen politische Einflussnahme durch den Finanzierungshebel.

Das ZDF hat dies in aller Offenheit mit seiner Nähe zur Staatskanzlei Rheinland-Pfalz, in der auch die KEF ihren Sitz hat, immer wieder als Maßstab für die ARD vorgeführt. Und die ARD hat ihr Verhalten daran orientiert und vergessen, was ihr Funktionsauftrag eigentlich ist.

Die Politiker

Föderalismus und Kulturhoheit sind ein Schutz für die Sicherung der Meinungsvielfalt, die durch die öffentlich-rechtlichen Sender bewahrt werden soll. Aber der Schutz ist nicht ausreichend, wenn es um politische Macht, politische Einflußnahme und politische Eitelkeiten in Kombination mit mangelnder Qualifikation geht.

Die Politik wollte immer Einfluss auf ihre Landessender. Dies gelang und gelingt in den einzelnen Bundesländern mehr oder weniger gut. Das Bundesverfassungsgericht hat die Politik zur Wahrung der Unabhängigkeit der Anstalten immer wieder beschränkt, und u.a. auf die Zustimmung zur Beitragsanpassung reduziert. Aber Politik ist gleich der Gesetzgeber in den Ländern und damit zuständig für Rundfunk- und Medienrecht. Anstatt den medialen Wandel als Herausforderung für die Funktion des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu begreifen und umzusetzen, bediente man wirtschaftliche Interessengruppen im Presse- und Internetbereich zulasten der Funktion des öffentlich-rechtlichen Systems.

Sparmaßnahmen und Programmbeschränkungen durch die finanziellen Auswertungen der KEF beherrschten und beherrschen die Diskussion, halten die Intendanten an einer kontrollierten Leine und täuschen dem Bürger imagewirksam Kostenbewusstsein der Politik vor.

Dafür reagieren die Intendanten mit noch mehr Wohlgefallens Bekundungen, Kanzler und Kanzlerin laden sich selbst in Talkshows ein, Coronasendungen unterstützen moralingetränkt jeden politischen Kurs, und Sparvorschläge werden jenseits der Anforderungen an ein qualitativ hochwertiges Programm mit dienender Funktion für die Meinungsfreiheit, der Politik als Stimmungsaufheller mit gesenktem Kopf übermittelt.

Die Verteidigung der Rundfunkfreiheit ist das nicht.

Die Kontrollgremien

Der politisch verordnete Drei-Stufen-Test für alle Internetangebote der öffentlich-rechtlichen Sender war ein letztes Kompetenzaufbäumen von Rundfunkräten und Verwaltungsräten in ARD und ZDF, seither herrscht eine kompetenzfreie Konsummentalität von Vorträgen der Operative in Sitzungen der Gremien der öffentlich-rechtlichen Anstalten.

Die Gremien haben ihr Selbstbewusstsein verloren und ihren Fokus auf ihre eigentliche Funktion in einem der Meinungsfreiheit dienenden System aufgegeben. Dass der „Meteorit“ Schlesinger so einschlagen konnte, hat mit Gremien zu tun, die immer noch stark aus der Politik mitbestimmt werden, oft als Versorgungsposten angesehen werden, zwar Quotenregelung, Minderheitenvertretung und Transparenz bis zum Abwinken kennen, aber keine Qualifikationsmaßstäbe, Fortbildung oder Durchsetzungskraft als unabhängiges Aufsichtsgremium.

Die Gremien sind mit echter Kontrollmacht ausgestattet, aber sie lassen die Intendanten lieber vortragen, als mit Eigeninitiative zu verteidigen, wozu sie berufen wurden. Wie oft wurde in der Vergangenheit eine „Staatsvertragsverletzung“ festgestellt, oder wurde jemals von § 49 MStV Gebrauch gemacht, in dem es heißt:

„Die zuständigen Aufsichtsgremien der in der ARD zusammengeschlossenen Landesrundfunkanstalten, des ZDF und des Deutschlandradios können vom Intendanten verlangen, dass er bei Rechtsverstößen Beanstandungen der Gremien im Programm veröffentlicht.“

Anlässe hat es in der Vergangenheit aufgrund von Programmbeschwerden oder eigenen Beanstandungen der Gremien genug gegeben.

  • Der öffentlich-rechtliche Rundfunk gendert – obwohl die Beitragszahler dagegen sind – und will anscheinend erziehen.
  • Der öffentlich-rechtliche Rundfunk dreht Wiederholungsschleifen seit Monaten im Programm – es fehlt Geld für neues Programm.
  • Alle politischen Talk-Shows gehen fast gleichzeitig in die Sommerpause – und weitere Wiederholungen werden gesendet.
  • Programmschätze der Vergangenheit werden an Plattformen verkauft oder lizensiert – bezahlt aber aus Rundfunkgebühren.
  • Wissens- und Informationssendungen werden reduziert, zeitlich auf Abwicklungspositionen verschoben – um weiter Geld zu sparen.
  • Der Jugendsender „funk“ ist ein Subventionsinstrument für YouTuber – ohne dass die mehr als fragwürdigen Inhalte kontrolliert würden.
  • Nachrichtensendungen engagieren sich mit platten Meldungen ohne Informationsgehalt auf TicToc – einer chinesischen Plattform mit amerikanischem Ableger der gerade „in“ ist.
  • Alle Nachrichtenformate haben Probleme, Meinung und Fakten auseinanderzuhalten – aber das ist ja nur die „Kernaufgabe“ des öffentlich-rechtlichen Systems.

Und was hört man zu diesen beispielhaften Punkten aus den Gremien?

Nichts!

Es fehlt den Gremien nicht an Geld – wie jetzt die Gremienvorsitzenden es gefordert haben, es fehlt an eigener Kompetenz, der richtigen unabhängigen Einstellung zur übernommenen Überwachungsaufgabe und an Durchsetzungskraft.

Eine Funktionsvermischung, wie im Fall des Verwaltungsratsvorsitzenden des RBB hätte im Gremium auffallen müssen. Die Gremien hätte zur Aufklärung vor die Kamera gehört, und Sondersitzungen wären nicht nur Sache des RBB. Es geht nicht das Halten von Positionen, es geht um die Rundfunkfreiheit, die durch die Gremien geschützt werden muss.

Aktuelle Seite der GVK der ARD vom 10.8.2022 – man achte auf die Daten:

Und Vorsitzende des ZDF-Verwaltungsrates ist Ministerpräsidentin Malu Dreyer, gleichzeitig Vorsitzende der Rundfunkkommission der Länder, in deren Staatskanzlei die KEF als unabhängige Kommission zur Feststellung des Finanzbedarfs der öffentlich-rechtlichen Sender ihre Geschäftsstelle hat.

Mit der Unabhängigkeit von Kontrollgremien sind derartige Verbindungen nicht vereinbar.

 

Der Fall Schlesinger ist der letzte Weckruf an die öffentlich-rechtlichen Sender und ihre Gremien, die Rundfunkfreiheit tatsächlich zu verteidigen und inhaltlich zu füllen – gegen jeden, der sie einschränken will.

Noch gibt es die unabhängigen Geister im öffentlich-rechtlichen System, aber sie werden mit Kompromisslinien, Transparenzvorschriften, Wohlverhaltensregeln, Genderdiktat, wertebefreitem Jugendwahn und moralischem Meinungsdruck unter dem Stichwort: Haltung zeigen, gehindert, ihre dienende Funktion zu erfüllen.

Nur Unabhängigkeit bringt unabhängige Informationen, unabhängige Meinungsbildung und unabhängige Kontrolle hervor.

Vollziehen Intendanten und Gremien nicht den Schritt in echte Unabhängigkeit, dann wird der Dinosaurier am Staub des Meteoriten Schlesinger langsam sterben. Wenn der Politik nur ein wenig an den eigenen demokratischen Grundlagen liegt, dann hört sie mit persönlichen PR-Maßnahmen zu Lasten der Sender auf und entlässt ARD und ZDF in die Unabhängigkeit, die die Rundfunkfreiheit erfordert.

Wie hat der Gesetzgeber es in § 26 MStV formuliert (nach Vorgabe des Bundesverfassungsgerichts):

„Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen.“

 

Dr. Dagmar Gräfin Kerssenbrock, LL.M.

Ehemalige Vorsitzende des Rundfunkrates und des Verwaltungsrates des NDR

 

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