Desinformation und ein überfordertes Gutachten

Desinformation und ein überfordertes Gutachten

Soziale Medien
Medienanstalt NRW

 

 
 
 

Desinformation – Risiken, Regulierungslücken und adäquate Gegenmaßnahmen – so heißt ein Gutachten im Auftrag der Medienanstalt NRW.

 

legal 1st Kommentar:  

 

Das Thema ist wichtig und begleitet die Gesellschaft intensiv, seit jedermann mit wenigen Klicks Texte, Bilder oder Sprache im Internet verbreiten kann. Das Unwesen von Bots kommt dabei noch hinzu.

Wer in dem Gutachten aber nach Antworten sucht, wird weitgehend enttäuscht. Es ist ein typisches Alles-und-Nichts-Gutachten, das mit der Definition von Desinformation startet und dabei bereits zu kurz springt:

„Desinformation beschreibt Äußerungen,

  • deren Wahrheit mit guten Gründen angezweifelt werden kann,
  • die niedrigschwellig (weiter-)verbreitbar sind,
  • die durch die Person des Äußernden oder ihre Gestaltung aus Sicht eines objektiven Empfängers einen besonderen Wahrheitsgehalt beanspruchen und
  • Schutzrechte und -güter beeinträchtigen.“

(Punkt 1 der Zusammenfassung des Gutachtens)

Aber ist Desinformation, wie man sie im Rahmen des amerikanischen Wahlkampfes (Cambridge Analytica) oder im Zusammenhang mit Corona wahrnehmen kann und könnte nur die Unwahrheit?

Im Buch Cyberwar – Die Gefahr aus dem Netz, von Constanze Kurz und Frank Rieger, wird Desinformation im digitalen Zeitalter ab Seite 202 völlig anders definiert.

Da heißt es, dass die Manipulation vor allem unter dem eindimensionalen Begriff „Fake News“ geführt wird, der dem Ausmaß des Problems aber nicht gerecht wird. Falschnachrichten beschreiben nicht die komplexe Wirkungsweise von Propaganda und Wahrnehmungsmanipulation, dies kann nur der Begriff Desinformation, der vom russischen „Desinformazia“ stammt, einer Abteilung des KGB. „Desinformation ist immer eingebettet in eine größere Strategie, sie dient als Mittel, ein übergeordnetes Ziel zu erreichen oder geplante Aktivitäten zu erleichtern“, Seite 204. Dabei sind die Unterminierung der Fähigkeit zur politischen Willensbildung, das Erzeugen von allgemeinem Chaos und verbreiteter Ungewissheit durch Eliminierung gewohnter Orientierungspunkte in der Politik, Zielelemente von Desinformation, vgl. Seite 209.

Die „algorithmische Rutsche in den Abgrund“ durch den gezielten Angriff auf Gefühle und Gedanken, vollbringen dabei Intermediäre und Plattformen, weil das Ziel „Traffic“ emotionale Inhalte präferiert und algorithmisch aufwertet. Nur so verkauft sich Werbung, vgl. Seite 214.

Das nun vorgelegte Gutachten bleibt im Begriff der Unwahrheit stecken und läßt das Thema Manipulation aus. Damit wird es dem Untersuchungsgegenstand nicht gerecht und muß zwangsläufig zu dem Ergebnis in Punkt 8 der Zusammenfassung kommen:

„8. Dabei scheint über alle untersuchten Gegenmaßnahmen hinweg auf, dass für derartige diskursunterstützende Ansätze klassische Regelungsformen nicht zulässig, nicht hilfreich oder in der Praxis nicht umsetzbar erscheinen. Ein Grund hierfür liegt darin, dass für deren Umsetzung regelmäßig private Akteure zuständig wären, die ihrerseits über große Gestaltungsfreiheiten ihrer Angebote und Vertragsbedingungen verfügen. Hier sind neben klassischen Formen der Selbst-regulierung neue Formen hybrider Governance nötig, in denen staatliche Regulierung und anbietereigene Governance-Bereiche verschränkt werden und reziprok wirken. Staatliche Kommunikationskontrolle kann zur Lösung der Probleme, die mit Desinformation einhergehen, kaum etwas beitragen – oder nur um den Preis, die Freiheit, die geschützt werden soll, selbst zu gefährden.

Das ist zu wenig und der Beschränkung auf Unwahrheit=Desinformation geschuldet!

Allein brauchbar scheint nur Punkt 11 zu sein:

„11. Eine zentrale zukünftige Herausforderung beim Umgang mit Desinformation ist die Suche nach Möglichkeiten der plattformübergreifenden Verwendbarkeit von Verfahren zur Sichtbarmachung von Zweifeln und durchgeführten Fact-Checking-Ergebnissen. Wenn der Geltungsanspruch einer Behauptung mit guten Belegen und Argumenten auf einer Plattform bestritten wird, können interoperable Formen des Sichtbarmachens dieses Zweifels dagegen helfen, dass die gleiche Äußerung auf anderen Plattformen unhinterfragt bleibt.“

Die dann folgenden Empfehlungen mehr Medienkompetenz bei Kindern und Jugendlichen in den Blick zu nehmen oder das „staatliche Angehen der Ursachen für Falschinformationen“, sind uralte Hüte und Dauerallgemeinplätze, die seit 20 Jahren medienpolitische Diskussionen beherrschen.

Die in Punkt 11 genannten Möglichkeiten der plattformübergreifenden Verwendbarkeit von Verfahren zur Sichtbarmachung von Zweifeln und durchgeführten Fact-Checking-Ergebnissen sind Teil der öffentlichen Aufgaben der Medien aus Art. 5 GG. Art. 5 GG gewährt nicht nur Medienfreiheiten, die der Staat zu gewährleisten hat, Art. 5 GG verpflichtet im Gegenzug zu den Freiheiten die Medien zur Wahrnehmung einer öffentlichen Aufgabe, die in der Sicherstellung der Informiertheit einer Gesellschaft und der Fähigkeit zur individuellen und gesellschaftlichen Meinungsbildung besteht.

Dabei gewährleistet der Staat die Medienfreiheit durch Sicherstellung der Vielfalt, die u.a. mit Regulierung durch den notwendigen medialen und wirtschaftlichen Wettbewerb garantiert wird.

Desinformation mit Hilfe des Angriffs auf Gefühle und Gedanken funktioniert nur, weil die Vielfaltssicherung versagt. In Monopolen gibt es den einen Angriff durch den einen Algorithmus, der die Posts und Beiträge von Usern und medialen Anbietern wirtschaftlich optimiert und nicht der Medienfreiheit dient.

Es ist das Fehlen eines echten konvergenten Medienkonzentrationsrechts, dass die Wirkung und Manipulationsmöglichkeiten einer einzelnen, oft unwidersprochenen Information zuläßt, anstatt die Vielfalt anderer Sichtweisen und Tatsachen zu organisieren.

Der Staat kann nicht in die Freiheit der Meinungsäußerung eingreifen, außer strafbare Handlungen im Sinne des StGB lägen vor. Der Staat kann aber die Wirkungsmechanismen der Desinformation unterlaufen, in dem er die Vielfalt der Medien gewährleistet, zu der das Grundgesetz ihn verpflichtet.

Monopole in bestimmten medialen Nutzergruppen sind immer ein Brutkasten für Desinformation, die sich auch durch das schlichte Weglassen von Informationen, das Publizieren von Teil-Informationen oder die Mischung von Tatsachen und Kommentaren ausdrücken kann. Reine Unwahrheiten – wie im Gutachten definiert – wären bestenfalls eine Untergruppe der Möglichkeiten.

Der 6. Konzentrationsbericht der KEK (Kommission zu Ermittlung der Konzentration im Medienbereich) bringt das so auf den Punkt:

„Bei Inkrafttreten des derzeit geltenden Medienkonzentrationsrechts war die Fokussierung auf den privaten Rundfunk aufgrund der bestehenden Marktverhältnisse angebracht, heute ist sie jedoch nicht mehr zeitgemäß. Zwar beeinflussen Fernsehen und Radio aufgrund nach wie vor hoher Nutzungszahlen die Meinungsbildung maßgeblich. Daneben hat jedoch die nahezu unüberschaubare Zahl über das Internet verbreiteter Angebote an Relevanz für die Meinungsbildung gewonnen. Zudem ist die Konvergenz von Medienmärkten, Medienangeboten und Endgeräten von Bedeutung.

Diese Veränderungen werden vom geltenden Medienkonzentrationsrecht nur unzureichend berücksichtigt. So wird Meinungsmacht auf Medienmärkten außerhalb des Fernsehens überhaupt nicht, crossmedial verstärkte Meinungsmacht nur eingeschränkt erfasst. Insbesondere ist die rundfunkrechtliche Konzentrationskontrolle nicht geeignet, vielfaltsgefährdenden Entwicklungen im Onlinebereich wirksam zu begegnen.“ (Ergebnisse im Überblick des 6. Berichts)

„Desinformation – Risiken, Regulierungslücken und adäquate Gegenmaßnahmen“ –  ein Gutachten, das viel verspricht, aber keinen Mehrwert schafft.

 

 

 

 

 
 
 

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