Unabhängigkeit für ARD und ZDF?

Unabhängigkeit für ARD und ZDF?

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Unabhängige Medien – gehören ARD und ZDF noch dazu?

Mitte November soll die öffentliche Anhörung zur Neuformulierung des öffentlichen Auftrags für ARD und ZDF beginnen – so der Beitrag von Helmut Hartung in der FAZ vom 22.10.2021. Heute, am 15.11.2021 findet sich noch keine Ankündigung oder Vorlage auf der Seite der Rundfunkkommission der Länder – Staatskanzlei Rheinland-Pfalz.

Der Artikel von Hartung trägt den Titel: „Weniger Rundfunkbeitrag wird wohl nicht fällig“.

Geht es denn um Geld bei der Neuformulierung des öffentlichen Auftrags der öffentlich-rechtlichen Sender? Geht es nicht vielmehr um Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, die Reaktion auf veränderte Mediennutzung, den Wettbewerb mit globalen Anbietern in der Gunst um Zeit von Medienkonsumenten und die Zurückdrängung algorithmusgesteuerter Angebote, die unabhängige Meinungsbildung nicht im Fokus ihres Kriterienkataloges haben?

Im Artikel wird die Einigung der Ministerpräsidenten auf den neuen Auftrag wie folgt zusammengefaßt:

„Kernpunkt des neuen Auftrags ist eine verringerte Beauftragung von Fernsehprogrammen und damit die Möglichkeit für die Sender, in Abstimmung mit den Gremien, zu entscheiden, ob und ab wann bisherige lineare Angebote weitergeführt, in ein Onlineformat umgewandelt oder eingestellt werden. Künftig sollen nur das Erste, das Zweite und die dritten Programme beauftragt werden. Allerdings wollen die Länder die Öffentlich-Rechtlichen weiterhin zu einem Kinderangebot verpflichten. Eine mögliche Beauftragung von Arte und 3Sat ist noch nicht entschieden, aber wahrscheinlich, da hier internationale Vereinbarungen existieren. Wird der Medienstaatsvertrag so bestätigt, könnte der Bayerische Rundfunk ARD-alpha in eine Wissensplattform verwandeln und Phoenix möglicherweise zusammen mit Angeboten von tagesschau.de und zdf.info zur Informationsplattform werden. Bei Unterhaltungsprogrammen soll im Entwurf eine Eingrenzung vorgenommen und Unterhaltung als Format definiert werden, das vor allem Kultur und Wissensinhalte vermittelt.“

Das klingt nicht falsch, sondern nach mehr Flexibilisierung, die jenseits von starren Grenzen im bisherigen Medienstaatsvertrag geboten scheint. Allein die Schlußsätze des Artikels lassen aufhorchen:

„Hier fällt letztlich die Entscheidung, ob der Reformprozess dazu führt, dass der Rundfunkbeitrag stabil bleibt oder vielleicht sogar sinkt. Der jetzt beschlossene Entwurf bietet dafür keine sichere Basis.“

Also geht es bei der Veränderung des öffentlichen Auftrags doch nur um Geld, um das Zusammenstreichen von linearen Programmen? Wird der öffentliche Auftrag in seinem Wesen und im Zusammenhang mit der Beitragsfinanzierung nicht als „Bastion der Unabhängigkeit“ zur Bildung individueller und gesellschaftlicher Meinung angesehen?

Nein, das wird er nicht!!!

Wer einen unabhängigen – weil beitragsfinanziert – öffentlich-rechtlichen Rundfunk will, kann und darf dies nicht mit Beitragsstabilität oder der Reduzierung des Beitrags im Rahmen der Diskussion über den öffentlichen Auftrag verbinden. Allein dieser Gedanke führt die gewollte und verfassungsrechtlich gebotene Rundfunkfreiheit ins Absurde. Wie sehr sich dieses Denken jedoch festgesetzt hat, zeigt allein die Behandlung des Themas Wetter durch die KEF (Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der ör Sender), wenn im 22. KEF Bericht zur Wetterberichterstattung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten in Tz. 697 steht:

„Dies sollte auch für die drei genannten Anstalten Anlass sein, ihre Position nochmals im Sinne einer praktischen Konkordanz mit dem ebenfalls im Verfassungsrang stehenden Wirtschaftlichkeitsprinzip zu überdenken.“

Man bemüht den verfassungsrechtlichen Ausgleichsmechanismus der „praktischen Konkordanz“, und stellt die Rundfunkfreiheit aus Art. 5 GG auf dieselbe Stufe wie das Wirtschaftlichkeitsprinzip???

Besser kann man das Nicht-Verstehen von Art. 5 GG nicht ausdrücken, aber es beherrscht die Motivation der Ausgestaltung der Rundfunkfreiheit durch die Länder, wie sie nun mit dem neuen öffentlichen Auftrag beabsichtigt ist.

Es geht um den Erhalt von Unabhängigkeit medialer Angebote, die all die Ressourcen zur Verfügung haben, um auf dem medialen Spielfeld der Gegenwart auf Augenhöhe mindestens mitspielen zu können, wenn die individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung zunehmend durch undemokratische Vorgaben für Algorithmusselektion beeinflußt wird.

Der Algorithmus für die sichtbaren Beiträge in sozialen Netzwerken funktioniert nach dem von der KEF so betonten Wirtschaftlichkeitsprinzip. Der Algorithmus wird immer jenseits der die Medienfreiheit tragenden Grundprinzipien den Millionen Usern die Beiträge vorschlagen und zeigen, die zu umsatzfördernden Klicks führen – denn das ist wirtschaftlich und davon leben Soziale Netzwerke.

So kann die Antwort des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auch nicht das blinde Bespielen von Sozialen Netzwerken sein, bei denen man sich dem Algorithmus von TikTok bis Facebook zum Ausbau der dortigen Gewinnmaximierungsstrategie unterwirft, nur „weil dort die User sind und abgeholt werden wollen“.

Ein neuer aktueller öffentlicher Auftrag ist überflüssig, weil der gegenwärtige öffentliche Auftrag (Medienstaatsvertrag vom November 2020) bereits alles beinhaltet, was die öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten eigentlich leisten sollen:

§ 26 Medienstaatsvertrag – Auftrag
 
(1) 1Auftrag der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ist, durch die Herstellung und Verbreitung ihrer Angebote als Medium und Faktor des Prozesses freier individueller und öffentlicher Meinungsbildung zu wirken und dadurch die demokratischen, sozialen und kulturellen Bedürfnisse der Gesellschaft zu erfüllen. 2Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten haben in ihren Angeboten einen umfassenden Überblick über das internationale, europäische, nationale und regionale Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. 3Sie sollen hierdurch die internationale Verständigung, die europäische Integration und den gesellschaftlichen Zusammenhalt in Bund und Ländern fördern. 4Ihre Angebote haben der Bildung, Information, Beratung und Unterhaltung zu dienen. 5Sie haben Beiträge, insbesondere zur Kultur, anzubieten. 6Auch Unterhaltung soll einem öffentlich-rechtlichen Angebotsprofil entsprechen.

 

Das Ernstnehmen dieses Auftrags würde aber nicht zu einer Beitragsreduktion oder -stabilität führen, sondern den öffentlich-rechtlichen Anstalten ein mediales Angebot abverlangen, daß sie als Alternative, Qualitätsmaßstab, Verifikator und unabhängiger Bewahrer der Medienfreiheit dastehen läßt.

Das kostet mehr Geld und nicht weniger.

Das führt nicht zum Zusammenstreichen von Redaktionen, sondern zu deren Ausbau. Das führt zu eigenen Angeboten im Rahmen des Nutzungsverhaltens der Menschen, aber nicht zu einem kostengünstigen Bespielen Sozialer Netzwerke und damit der Unterwerfung unter den Algorithmus privater Medienanbieter, die ausschließlich nach Gewinn- und Refinanzierungsmaximierung trachten.

Mit Blick auf die politische Forderung nach einem stabilen oder sinkendem Rundfunkbeitrag, haben die öffentlich-rechtlichen Sender unter dem Wirtschaftlichkeitsdiktat der KEF alles abgeschafft, was bislang für qualitative Rundfunkangebote stand.

  • Redaktionen wurden trimedial unter Wegfall von Fachredaktionen und investigativer Recherche. Ein Redakteur sollte plötzlich 3 Ausspielwege bedienen und gleichzeitig ausreichend Zeit auf gründliche Recherche haben.
  • Ein sogenanntes Expertentum ersetzt die Fachrecherche und langjährig erworbenes Knowhow. Investigative Bestandteile des Programms werden Kooperationen zugeführt, in denen die öffentliche Aufgabe von Medien mit dem öffentlichen Auftrag der Rundfunkanstalten bunt gemischt werden.
  • Programmhighlights werden für schnelles Geld verkauft, um sie dann als Konkurrenzangebote zum eigenen Programm wiederzufinden.
  • Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist weder Meinungsführer noch Meinungsmacher, er setzt keinen Trend sondern läuft als Letzter hinter jedem medialen Trend her.
  • Corona war ein wirtschaftliches Geschenk für die öffentlich-rechtlichen Sender, ständige Berichterstattung ohne große Eigenrecherche bei gleichzeitigem Ausbau von Wiederholungsprogrammen. Täglich mindestens ein Tatort auf einem Dritten Programm der ARD oder die unendlichen Wiederholungen von Wilsberg oder Barnaby beim ZDF.

Das alles mag aus Sicht der Politik und der KEF wirtschaftlich sein, der Meinungsfreiheit dient ein so aufgestellter Rundfunk nicht.

Wer in dieser Situation auf die Intendanten der öffentlich-rechtlichen Sender schaut, muß zurecht fragen, warum diese den öffentlich-rechtlichen Rundfunk nicht unabhängig mit dem bestehenden Auftrag im Medienstaatsvertrag weiterentwickeln und als Diener der Meinungsfreiheit in Zeiten der Konvergenz aller Medien hochhalten?

Die Gehälter der Intendanten sind längst nicht so hoch wie die ihrer Kollegen aus der Privatwirtschaft. Aber diese Gehälter werden vom Rundfunkbeitrag bezahlt, damit die Intendanten völlig unabhängig von politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Zwängen die dienende Funktion des Rundfunks für die individuelle und gesellschaftliche Meinungsbildung schützen, verteidigen und für Demokratie und Rechtsstaat weiterentwickeln. Jeder mag sich selber fragen, wie gut die Intendanten ihre Aufgabe wahrnehmen.

Die zentrale Frage von heute ist nicht, ob man einen neuen öffentlichen Auftrag benötigt, denn man kann den bestehende einfach einmal ausfüllen.

Die zentrale Frage von heute lautet: Wie bewahrt man die letzten Reste von medialer Unabhängigkeit, um den Menschen eine eigene Meinungsbildung zu ermöglichen, vor deren Hintergrund schließlich demokratische Entscheidungen fallen sollen?

Einige Beispiele für das Gegenteil:

  • Der Spiegel erhält Geld von der Belinda und Bill Gates Stiftung:
    Gates-Stiftung unterstützt den Spiegel mit weiteren 2,9 Millionen Dollar

https://www.berliner-zeitung.de/news/gates-stiftung-unterstuetzt-den-spiegel-mit-weiteren-29-millionen-dollar-li.194183

  • „Die Bertelsmann Stiftung ist ein Ort, an dem wir ohne partei­politische Grenzen in die Zukunft schauen und Impulse für Veränderungen erarbeiten“, heißt es auf der Homepage der Stiftung. Als Eigentümerin der Bertelsmann SE & Co KGaA finanziert sie Studien zu aktuellen politischen Themen, um Richtung und Schwerpunkte zu setzen.
    Bertelsmann ist Mehrheitsaktionär an der börsennotierten RTL Group, welche an den Börsen in Luxemburg und Frankfurt/Main notiert und Mitglied im SDAX ist.

https://www.bertelsmann-stiftung.de/de/startseite

  • Die dpa ist eine GmbH mit 174 Gesellschaftern. Zeitungs- und Zeitschriftenverlage, Rundfunkanstalten und -gesellschaften halten die Anteile.

Aber: Kampf gegen Desinformation – dpa arbeitet für Facebook und will trotzdem kritisch berichten

https://www.deutschlandfunk.de/kampf-gegen-desinformation-dpa-arbeitet-fuer-facebook-und-100.html

 

  • Nach eigenen Angaben recherchiert und produziert seit 2013 das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) überregionale Inhalte für mehrere Dutzend regionale Tageszeitungsmarken. Es gehört zur MADSACK Mediengruppe, mit dem größten Kommanditisten dd.vg, das Medienbeteiligungsunternehmen der SPD.

https://de.wikipedia.org/wiki/RedaktionsNetzwerk_Deutschland

Unabhängigkeit im Sinne von wirtschaftlicher Freiheit, um der Meinungsfreiheit tatsächlich dienen zu können, ist keine Selbstverständlichkeit. Dazu kommen immer wieder Vorgaben der EU-Kommission, die Medien nur als Teil des Wettbewerbsrechts sehen, nicht aber als Träger von Freiheitsrechten, denen der Wettbewerb nur zu dienen hat.

Wenn in diesen Tagen nun der öffentliche Auftrag für die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten zur Diskussion steht, dann kann und darf ausschließlich die Sicherstellung ihrer Funktion für Demokratie und Rechtsstaat im Mittelpunkt stehen – nicht ihre Finanzierung.

Mehr Unabhängigkeit für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk, um ein Gegengewicht zu den Algorithmen der Sozialen Netzwerke und sonstiger Mediendienste zu schaffen, ist das Thema der Stunde!

 

 

 

 
 
 

 

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